Männerpolitik diskutieren

Am 25. Mai 2012 erscheint das Buch «Männerpolitik. Was Jungen, Männer und Väter stark macht» im Springer VS Verlag. Seit diesem Datum besteht an dieser Stelle die Möglichkeit, über die Buchinhalte zu diskutieren. Klicken Sie in der Menüleiste rechts auf den Beitrag, zu dem Sie einen Kommentar hinterlassen möchten.

Der Sammelband vereint Beiträge von 20 Autoren und Autorinnen. Damit liegt erstmals für den deutschsprachigen Raum ein Referenzwerk vor, das

  • die Legitimation von Männerpolitik(en) klärt;
  • die wichtigsten männerpolitischen Fragestellungen und Herausforderungen darstellt und fachlich begründet;
  • jungen-, männer- und väterpolitische Ansätze, Perspektiven und Wünsche differenziert;
  • Möglichkeiten eines kooperativen und zukunftsgerichteten Ineinanderwirkens von Männerpolitik, Frauenpolitik und Gleichstellungspolitik aufzeigt;
  • die relevanten institutionellen Akteure und deren Politik(en) in Deutschland, Österreich und der Schweiz vorstellt.

Rainer Volz

Männer arbeiten mehr im Bereich der bezahlten Erwerbsarbeit, Frauen mehr in der unbezahlten Familien- und Hausarbeit. Die Erwerbsorientierung der Männer ist damit eine zentrale gleichstellungspolitische Herausforderung. Der renommierte Männerforscher Rainer Volz differenziert im Austausch mit Herausgeber Markus Theunert diese allgemeinen Befunde und hinterfragt die gängigen Bewertungen. Er zeigt die im Konzept der Erwerbsarbeit angelegte Ambivalenz zwischen ihrem positiv bewerteten Charakter als materielle Lebensgrundlage und ihrem tendenziell lebenstotalitären Charakter sowie die damit verbundenen Vereinbarkeitsfragen auf. Dieses Spannungsfeld lässt sich im traditionellen Männer- wie Frauenbild mit der klassischen Aufgabenteilung (Mann als Ernährer, Frau als Hausfrau und Mutter) bipolar auflösen. In einer gleichstellungspolitischen Perspektive kann und soll dies nicht mehr gelingen. Die Ambivalenz von Arbeit, Beziehung/Familie und Leben wird in einem partnerschaftlich-egalitären Bezugssystem viel deutlicher wahrgenommen – und drängt nach zeitgemässen Antworten. Daran schliesst sich die Forderung nach einer Auflösung der Ambivalenz jenseits bipolarer Aufgabenteilung im Sinne der (besseren) Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Das «Vereinbarkeitsproblem» ist damit auch eine Männerfrage. Der vorliegende Beitrag benennt die spezifischen Herausforderungen der Männer und öffnet den Horizont über geschlechtervergleichende Ansätze hinaus.

Rainer Volz (1950) war lange Jahre Leiter des Zentrums für Männerarbeit der Evangelischen Kirche im Rheinland. Ende 2010 gab er seinen Posten auf, um nach Istanbul zu ziehen, wo seine Frau als Pfarrerin der Evangelischen Gemeinde deutscher Sprache in der Türkei wirkt. Rainer Volz ist zusammen mit Paul M. Zulehner (Wien) Autor der großen wissenschaftlichen Männerstudien «Männer im Aufbruch» (1998/1999) und «Männer in Bewegung» (2009). Kontakt: rainer.volz@gmx.net

Uli Boldt

Mädchen und Jungen partizipieren mit unterschiedlichem Erfolg an den schulischen Angeboten. Bei den schulischen Abschlüssen schneiden die Mädchen seit vielen Jahren erfolgreicher als die Jungen ab. Werden der Unterricht gestört oder schulische Regeln missachtet, dann sind eher Jungen als Mädchen beteiligt. Nachdem in den zurückliegenden Jahren eher die Förderung der Mädchen im System Schule diskutiert wurde, rücken nunmehr auch die Jungen in den pädagogischen Fokus. Dabei soll die Förderung der Jungen nicht zu Ungunsten der Mädchen erfolgen. Uli Boldt fordert in seinem Beitrag eine geschlechterbewusste und -gerechte Gestaltung der kooperativen Schule, die den Bedürfnissen und Interessen beider Geschlechter gerecht wird. Der Beitrag versucht zu verdeutlichen, welche Anforderungen sich dem Bildungswesen stellen, damit der Anspruch des Konzepts einer geschlechterbewussten Schule erfüllt wird. Dabei versteht er die Etablierung jungenspezifischer Ansätze als Aufgabe, die zwar durch einen politischen Auftrag abgestützt sein soll, nicht aber «von oben» verordnet werden kann. Um nachhaltig Wirkung zu zeigen, müssen solche Ansätze aus der Schule selbst wachsen. Der Beitrag zeigt, welche Bedingungen und Aktivitäten diesem Ziel zuträglich sind. Eine Erhöhung des Anteils männlicher Lehrkräfte ist dabei ein notwendiges, aber nicht hinreichendes Element.

Uli Boldt (1951) ist seit 1974 Lehrer an der Martin Niemöller-Gesamtschule Bielefeld und von 2004 bis 2010 als abgeordneter Lehrer an der Fakultät für Erziehungswissenschaften der Universität Bielefeld tätig. 2010 Rückkehr in den Schuldienst, Moderator für Lehrkräftefortbildungen bei der Bezirksregierung Detmold für die Themenbereiche «Gender Mainstreaming», «Jungenarbeit» und «Berufs- und Lebensplanung von Mädchen und Jungen», seit 1990 Erfahrungen in der schulischen Jungenarbeit und im Bereich der geschlechtersensiblen Berufsorientierung, Zusammenarbeit mit den Modellprojekten «Girls‘ Day» und «Neue Wege für Jungs». Kontakt: uliboldt@gmx.de

Dag Schölper

Der Beitrag von Dag Schölper liefert eine Übersicht der verschiedenen männerpolitischen Akteure und stellt sie steckbriefartig vor. Nach der Darstellung des männerpolitischen Dachverbandes BUNDESFORUM MÄNNER werden verschiedene Akteure, größtenteils Mitglieder des Verbands, nach ihren Schwerpunktthemen sortiert vorgestellt: (1) Jungen, (2) Männer, (3) Väter. Diese lebensverlaufsorientierte Eingruppierung ist nicht sehr trennscharf, weder auf Seiten der Akteure noch auf Seiten der Adressierten, ermöglicht aber eine grobe Orientierung. Parallel dazu wird nach dem Aktionsradius (bundesweit, landesweit, kommunal, lokal) geordnet. Abschließend wird der Blick nach vorn gerichtet, um zu schärfen, was in den nächsten Jahren zentrale Herausforderungen für die zivilgesellschaftliche Männer- und Geschlechterpolitik sind.

Dr. phil. Dag Schölper (1977) lebt in Berlin und arbeitet dort als Fachreferent und stellvertretender Geschäftsführer des BUNDESFORUM MÄNNER – Interessenverband für Jungen, Männer und Väter e.V. Zuvor war er Mitarbeiter der Politischen Bundesgeschäftsführerin von BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN, Steffi Lemke. Er studierte und promovierte am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin. Schwerpunkt war feministische Theorie und Geschlechterpolitik. Thema seiner Dissertation: Disziplinierung der Geschlechter im Namen des Kindeswohls. Eine Geschichte der Beistandschaft des Jugendamtes für «uneheliche» Kinder. Seit 2000 ist er ehrenamtlich im Forum Männer in Theorie und Praxis der Geschlechterverhältnisse aktiv. Mail: schoelper@bundesforum-maenner.de

Angela Icken

In Deutschland hat die Gleichstellungspolitik in den vergangenen 25 Jahren einen Weg genommen von der Frauenpolitik zur Politik der Geschlechtergerechtigkeit, der fairen Chancen für Frauen und Männer im Lebenslauf. Die Bevölkerung betrachtet die Lösung von Gleichstellungsfragen zudem als besonders wichtig für den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft. Daher findet der neue Politikansatz, dem eine Gleichstellungspolitik für Jungen und Männer immanent ist, eine hohe Zustimmung. Der Aufsatz von Angela Icken beschreibt den deutschen Weg von der Frauenpolitik zur Politik der Geschlechtergerechtigkeit für Frauen und Männer und untermauert die Gleichstellungspolitik für Jungen und Männer der Bundesregierung mit einigen Beispielen.

Dr. Angela Icken (1954) hat an der Rheinischen Friedrich Wilhelms-Universität in Bonn ein Studium der Agrarwissenschaft als Diplom-Agraringenieur abgeschlossen und 1998 ein Postgraduierten-Studium im Bereich Politikwissenschaften belegt (Promotion 2002). Seit 1986 Mitarbeiterin in der Abteilung Frauenpolitik (später umbenannt in Abteilung Gleichstellung, Chancengleichheit des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend). Seit 1992 als Referatsleitung in unterschiedlichen Referaten. Seit 2010 Leiterin des Referates 408 – Gleichstellungspolitik für Jungen und Männer. Zahlreiche Veröffentlichungen zu gleichstellungspolitischen Themen. Zwei erwachsene Söhne. Kontakt: angela.icken@bmfsfj.bund.de

«Landkarte»

Auf der Basis einer Typologie von Detlef Ax wird ein Koordinatensystem zur Verortung der verschiedenen männerpolitischen Strömungen vorgeschlagen. Die X-Achse ist definiert über das Verhältnis zum Feminismus resp. der feministischen Analyse(n), wobei das eine Extrem die totale Zustimmung (Profeminismus), das andere Extrem der totale Widerstand (Antifeminismus) darstellt. Die Y-Achse ist definiert über die Positionierung im alten Anlage-Umwelt-Konflikt: Hier ist das eine Extrem als Überzeugung zu skizzieren, der Mensch/Mann sei vollkommen sozial geprägtes Wesen (weshalb die kritische Gesellschaftsanalyse der Schlüssel geschlechterpolitischer Entwicklung ist). Das andere Extrem hängt der Überzeugung an, das Mensch- resp. Mannsein sei vollkommen biologisch-genetisch geprägt (weshalb Geschlechterpolitik unter dem Verdacht steht, die «natürlichen» Unterschiede zwischen Frauen und Männer manipulieren zu wollen).

Reinhard Winter

«Die» Jungen als homogene soziale Gruppe gibt es nicht, «die» Benachteiligung der Jungen als Ganzes auch nicht, «die» Jungenpolitik als Rezept genau so wenig. Der Beitrag zeigt, was es gibt, das eine Jungenpolitik nicht nur legitimiert, sondern notwendig und dringlich macht. Der Text beginnt mit einer Beschreibung der rechtlichen Legitimation und realen Problempunkten, nennt die zentralen Spannungsfelder und zeigt die dynamische Verbindung von Jungenpolitik in der Kritik an Männlichkeitsideologien und der Stärkung der Jungen in ihrem gelebten Jungesein und Mannwerden. Jungenpolitik wird dabei als fachlich fundierter und entsprechend differenzierter Ansatz positioniert, Jungen als soziale Gruppe wie auch einzelne Untergruppen von Jungen (z.B. behinderte Jungen) wahrzunehmen, in ihren problematischen Bezügen realistisch einzuschätzen, ihnen Gehör zu verschaffen und sie in ihren Ressourcen zu stärken. Dies beinhaltet auch eine klare Abgrenzung gegenüber jeder Form von Skandalisierung und Instrumentalisierung der vermeintlichen Jungendiskriminierung. Ein Überblick zur strukturellen Verankerung der Jungenpolitik in Deutschland, Österreich und der Schweiz sowie ein Anriss jungenpolitisch relevanter Themen und Fragen runden den Beitrag ab.

Reinhard Winter (1958), Dr. rer. soc. und Dipl. Päd., ist in der Leitung des Sozialwissenschaftlichen Instituts Tübingen (SOWIT) tätig. Unter anderem forscht er über und arbeitet mit Jungen sowie mit Menschen, die mit Jungen arbeiten. Außerdem berät er Organisationen im Zusammenhang mit Genderthemen und zu Gender Mainstreaming. Arbeitsschwerpunkte sind derzeit Jungenarbeit, Jungen- und Männergesundheit sowie Jungensozialarbeit. Aktuelle Veröffentlichungen: «Jungen – eine Gebrauchsanweisung. Jungen verstehen und unterstützen» (Beltz, 2011), «Jungen und Gesundheit: Ein interdisziplinäres Handbuch für Medizin, Psychologie und Pädagogik» (Kohlhammer Verlag, 2012; als Herausgeber zusammen mit Bernhard Stier). Kontakt: www.SOWIT.de, reinhard.winter@sowit.de

Quadermodell

Als Rahmenkonzept wird das Denkmodell eines Quaders eingeführt: Auf einer ersten Dimension werden die Zielgruppen (Jungen und junge Männer, erwachsene Männer, Väter und ältere Männer; vgl. Teil II dieses Bands) unterschieden, auf einer zweiten Dimension die politisch vordergründigen Problemfelder (Gesundheit, Arbeit, Schule, Sexualität, Gewalt; vgl. Teil III dieses Bands), auf einer dritten Dimension die relevanten Intersektionalitäten / Querschnittsthemen (Familien-/Wohnform, Beziehungsform, sexuelle Identität, Arbeitssituation, soziales Milieu, Migration, Behinderung). Der Quader erlaubt, die männerpolitischen Handlungsfelder darzustellen und auch verdeckte Probleme aufzuzeigen, kohärente Massnahmen zu entwickeln und männerpolitische Konzepte auf ihre Vollständigkeit hin zu überprüfen. Das Modell ist für Männerpolitik(en) ebenso nützlich wie für die Männerarbeit.

Männerpolitik(en): ein Rahmenkonzept

Männer- wie Frauenpolitik(en) sind gleichermassen dem Ziel der Chancengleichheit verpflichtet, haben aber angesichts unterschiedlicher soziohistorischer Ausgangslagen unterschiedliche Aufgaben. Der Beitrag von Markus Theunert begründet die Notwendigkeit für Jungen-, Männer- und Väterpolitik(en) und formuliert sechs grundlegende Legitimationsfragen. Auf dieser Basis zeigt Herausgeber Markus Theunert, wie Gleichstellungs-/Geschlechterpolitik als eine Chancengleichheitspolitik konzipiert werden kann, die Männerpolitik(en) als gleichwertige eigenständige Säule ernst nimmt und institutionell verankert.

Ein Wirkungsmodell veranschaulicht, wie der Entwicklungsschritt von der rechtlichen zur tatsächlichen Gleichstellung nur als Neugestaltung der Geschlechterverhältnisse unter aktiver Beteiligung der Männer gelingen kann. Männerpolitik wird dadurch Impuls und Chance für den Gleichstellungsprozess – ist aber auch Provokation, indem sie nicht weniger als gleichwertige Teilhabe an gleichstellungspolitischer Definitionsmacht fordert.

Im zweiten Teil führt der Autor als Rahmenkonzept das Denkmodell eines Quaders ein: Auf einer ersten Dimension werden die Zielgruppen (Jungen und junge Männer, erwachsene Männer, Väter und ältere Männer; vgl. Teil II dieses Bands) unterschieden, auf einer zweiten Dimension die politisch vordergründigen Problemfelder (Gesundheit, Arbeit, Schule, Sexualität, Gewalt; vgl. Teil III dieses Bands), auf einer dritten Dimension die relevanten Intersektionalitäten / Querschnittsthemen (Familien-/Wohnform, Beziehungsform, sexuelle Identität, Arbeitssituation, soziales Milieu, Migration, Behinderung). Der Quader erlaubt, die männerpolitischen Handlungsfelder darzustellen und auch verdeckte Probleme aufzuzeigen, kohärente Massnahmen zu entwickeln und männerpolitische Konzepte auf ihre Vollständigkeit hin zu überprüfen. Das Modell ist für Männerpolitik(en) ebenso nützlich wie für die Männerarbeit.

Eine Analyse der männerpolitischen Akteurslandschaft schliesst den Beitrag ab.

Thomas Gesterkamp

Vom Schweigen der Männer zu «Frauenthemen» in den 1980er-Jahren bis zur Etablierung der Jungen- und Männerpolitik im Familienministerium 2010: Thomas Gesterkamp zeichnet die historische Entwicklung der Männerpolitik der letzten Jahrzehnte nach. Gewürzt mit persönlichen Anekdoten und spitzen Kommentaren nimmt er eine grundsätzliche Verortung einer geschlechterdialogischen Männerpolitik jenseits von Profeminismus und Antifeminismus vor.

Thomas Gesterkamp (1957) hat Soziologie und Pädagogik studiert und in Politikwissenschaft über «Männliche Arbeits- und Lebensstile in der Informationsgesellschaft» promoviert. Er ist Journalist in Köln und Autor von Büchern zu familien- und geschlechterpolitischen Themen, zuletzt «Die neuen Väter zwischen Kind und Karriere» (2010) und «Die Krise der Kerle» (2007). Beiträge im Hörfunk, Texte in Tages- und Wochenzeitungen sowie in Sammelbänden und Fachzeitschriften. Tätigkeit als Referent, Moderator und in der Weiterbildung; Lehre an Hochschulen zu den Themen Arbeitsmarkt, Sozialstaat, Familienpolitik, Gender. Mitarbeit beim Männer-Väter-Forum, Köln, und beim Forum Männer in Theorie und Praxis der Geschlechterverhältnisse, Berlin. Mitbegründer des Väter-Experten-Netz Deutschland. Kontakt: thomas.gesterkamp@t-online.de